Ertragsveränderungen vor dem Hintergrund der Klimakrise und Auswirkungen auf die Flächennutzung: Jahresbericht 2023 des Julius Kühn-Instituts und des Thünen-Instituts
Der Jahresbericht des Julius Kühn-Instituts (JKI) und des Thünen-Instituts (TI) zu „Ertragsveränderungen vor dem Hintergrund der Klimakrise und Auswirkungen auf die Flächennutzung“ fokussiert sich in im Jahr 2023 auf drei Kernfragen. So werden 1) die Auswirkungen langfristiger Klimaänderungen basierend auf den IPCC Szenarien, 2) die Witterung im Berichtsjahr vor dem Hintergrund des Klimawandels und 3) der Einfluss von Extremwetterereignissen im Klimawandel beleuchtet. Hierbei wird der in der umfänglichen Studie „Klimawandelbedingte Ertragsveränderungen und Flächennutzung (KlimErtrag)“ (Söder et al., 2022) erarbeitete Wissens- und Entwicklungsstand mit den neuesten Analysen der Ressortforschung und der aktuellen internationalen Literatur mittels gezielter Literaturrecherche abgeglichen. Dabei wird insbesondere überprüft, ob es neue Erkenntnisse gibt, die den damaligen Wissensstand entgegenstehen oder diesen bestärken, und welche neuen Forschungs- und Entwicklungsbedarfe sich abzeichnen. Zu der Frage 1 „Welche Auswirkungen haben durchschnittliche Klimaänderungen (IPCC-Szenarien) auf Erträge und Flächennutzung in Deutschland?“ wurden die bisher erarbeiteten Analysen fortgeführt und ausgeweitet. Eine systematische Literaturrecherche untermauert die wesentlichen Erkenntnisse der KlimErtrag-Studie, dass die Erträge von C3-Pflanzen, wie Weizen, bis zur Mitte des Jahrhunderts weiter steigen und die Erträge von C4-Pflanzen, insbesondere Mais, der nicht vom CO2- Düngeeffekt profitiert, stagnieren oder gar leicht zurückgehen. Zudem sind die gemäßigten Breiten Gunstregionen des Klimawandels, während die Landwirtschaft im globalen Süden unter der fortschreitenden Erwärmung zunehmend leidet. Die Ausweitung der Analysen bis zum Ende des Jahrhunderts zeigt weiter steigende Erträge für Roggen als C3-Pflanze, jedoch ein Ertragsplateau zum Ende des Jahrhunderts. Weiterhin wird die fortschreitende Erwärmung zur Verbesserung der Anbaueignung von Sorghum als trockenstresstolerante Alternative zum Mais in bestimmten Regionen beitragen. Als wichtige Entwicklungsfelder im Bereich der Analysefähigkeit wurde die prozessbasierte Modellierung von Fruchtfolgen entwickelt und es werden zusätzliche Kulturarten und Zielparameter neben dem Ertrag berücksichtigt (u.a., Bodenkohlenstoffentwicklung, Stickstoffnutzung, etc.). Weiterhin wird nochmals dezidiert dargelegt, dass die Diskrepanz zwischen der projizierten Niederschlagsentwicklung in den Klimaszenarien seit 2010 und den tatsächlichen Niederschlägen in diesem Zeitraum Zweifel an der Zuverlässigkeit der projizierten Ertragssteigerungen im Klimawandel aufkommen lassen. Die Klima- und Ertragsprojektionen stellen jedoch weiterhin den aktuellen globalen Wissensund Methodenstand dar. Zu der Frage 2 „Welche Auswirkungen und ggf. auch Trends sind im jeweiligen Berichtsjahr zu beobachten?“ wurde in Ergänzung zum Erntebericht der Witterungsverlauf und dessen Auswirkungen auf Erträge und Flächennutzung vor dem Hintergrund des Klimawandels eingeordnet. Der ungünstige Witterungsverlauf und die feuchten Bedingungen zu ackerbaulich ungünstigen Zeitpunkten in 2023, welche im Klimawandel voraussichtlich weiter zunehmen, standen hierbei im Fokus. Fortwährend zu feuchte Bedingungen im Frühjahr verzögerten die Aussaat der Sommerungen vielerorts, was dazu führte, dass die Anbauflächen der früh auszusäenden Sommerungen Hafer, Sommerweizen und Sommergerste vergleichsweise gering waren und die Fläche des später zu säenden Mais zunahm. Die anschließende Trockenheit im Frühsommer war in verschiedenen Regionen und Kulturen ertragswirksam. Ab Ende Juni traten vermehrt Unwetter auf und es blieb fortwährend feucht, was die Ernte von Getreide verzögerte und zum Teil zu massiven Einbußen in der Ertragsquantität und vor allem -qualität führte. Die Anpassung der Kulturpflanzen und Anbausysteme an feuchtere Bedingungen zur Reife und Ernte ist daher essentiell und die Erhöhung der Standfestigkeit eine zunehmend wichtige Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel. Die anhaltend feuchten Bedingungen im Herbst 2023 erschwerten zudem die Aussaat der Winterungen und führten zu einer erhöhten Nachfrage nach Saatgut von Sommerungen mit Auswirkungen auf die Flächennutzung im darauffolgenden Jahr. Weiterhin wurden Besonderheiten im Auftreten neuer Schadorganismen in der Klimakrise beleuchtet. Das durch Zikaden übertragene „Syndrom der niedrigen Zuckergehalte“ (SBR) breitet sich deutschlandweit weiter aus (~50.000 ha in 2023) und trat in diesem Jahr in Kombination mit dem ebenfalls durch Zikaden übertragenen Stolbur-Phytoplasma (~10.000 ha) auf. Der Befall, der zu substantiellen Ertragsverlusten und wirtschaftlichen Einbußen führt, wird im Zuge der fortschreitenden Erwärmung und besseren Bedingungen für die Zikaden voraussichtlich weiter zunehmen. Der Einfluss des Klimawandels im Zusammenhang mit biotischem Stress wurde auch in einer Langzeitanalyse zur Insektenabundanz in Agrarlandschaften und ihrer regulierenden Wirkung auf Blattläuse gezeigt. Im Zuge der fortschreitenden Erwärmung verschiebt sich das Verhältnis von Pflanzenschädlingen zu Gegenspielern zugunsten der Schädlinge, was mit einem Verlust schädlingsregulierender Ökosystemdienstleistungen einhergeht. Zu der Frage 3 „Welche Auswirkungen werden zukünftige Extremwetterereignisse auf die Erträge und Flächennutzung in Deutschland voraussichtlich haben?“ wurden Erkenntnisse der experimentellen Forschung und Langzeitanalysen der Ressortforschung dargestellt. In der KlimErtrag-Studie wurde dargestellt, dass Extremwetterereignisse zu substantiellen Ertragsverlusten in verschiedenen Kulturen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten geführt haben und dass es regionale Unterschiede hinsichtlich der Verluste gibt. Ziel der experimentellen Forschung ist es, die Ursache-Wirkungs-Beziehungen der klimatischen Veränderungen und der Zunahme von Extremereignissen auf Erträge besser zu beschreiben, um robustere Aussagen über zukünftige Entwicklungen treffen zu können. Neue Versuchsergebnisse der Ressortforschung zeigen, dass Raps in der Lage ist extremen Hitzestress jedoch nicht Trockenstress zur Blüte vollständig zu kompensieren. Weiterhin zeigen Langzeitanalysen, dass die extreme Trockenheit in den Jahren 2018 bis 2020 zu substantiellen Reduktionen im Holzertrag in Agroforstsystemen geführt hat. In einem FACE (Free Air Carbon Dioxide Enrichment) Experiment konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass sich der CO2-Anstieg sehr positiv auf die Ertragsleitung von Weizen auswirkt, dass jedoch auch der Befall mit Braunrost zunimmt. In Einklang mit den Ergebnissen aus KlimErtrag zeigten weiterführende Analysen, dass Trockenheit ein Hauptfaktor für Getreideertragsverluste und monetäre Verluste in der deutschen Landwirtschaft ist. Die Schäden durch Extremwetterereignisse wie Dürre und Trockenheit sind ungleich über Deutschland hinweg verteilt. Dementsprechend müssen sich Landwirte regionsspezifisch an den Klimawandel anpassen. Politikprogramme zur Förderung des Risikomanagements und der Klimaanpassung sollten diese Erkenntnisse nutzen, um die vorhandenen finanziellen Fördermittel möglichst kosteneffektiv einzusetzen. Eine anschließende Studie untersuchte den Einfluss der Standorteigenschaften auf die Ertragsverluste durch Extremwetter bei Roggen vs. Weizen. In beiden Kulturen fanden sich kaum signifikante Ertragsverluste auf guten Standorten, während diese auf schlechten Standorten um ein Vielfaches höher lagen. Entsprechend werden Hochertragsstandorte mit hoher Klimaresilienz zukünftig weiter an Bedeutung für die Ernährungssicherung gewinnen. Durch gezielte Züchtungsforschung konnte im Roggen, der lageranfälligsten Getreideart, durch die Einkreuzung eines Kurzstrohgens eine signifikante Halmverkürzung erzielt werden, die zu einer substantiellen Verbesserung der Halmstabilität geführt hat. Weiterführende Analysen haben gezeigt, dass das Kurzstrohgen keinen negativen Einfluss auf das Wurzelsystem von Roggen hat und die Anpassung gegenüber Starkregen und Sturm nicht mit einem Verlust der Anpassungsfähigkeit gegenüber Trockenheit einhergeht. Ein aus dem Projekt RYE-SUS heraus entwickelter Genotyp befindet sich in 2023 im zweiten Jahr der Wertprüfung mit einer erhofften Sortenzulassung für den deutschen und europäischen Markt in 2026. Aktuelle Analysen zeigen außerdem, dass Anbaudiversifizierung eine Anpassungsmaßnahme ist, um das Erlösrisiko im Ackerbau zu senken, wobei sie besonders effektiv ist, wenn Ackerfrüchte mit möglichst unterschiedlichen vulnerablen Wachstumszeiträumen kombiniert werden. Besonders geeignet ist das Risikoinstrument bei moderaten Dürreereignissen, bei extremer Dürre sind weitere inner- und außerbetriebliche Risikoinstrumente notwendig. Die Ergebnisse zeigen die Vorteile einer Mehrfruchtversicherung im Vergleich zu einer Einzelfruchtversicherung. Erstere ist in Deutschland bisher aber nicht etabliert. In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass ein Dürreereignis auch langfristig Auswirkungen auf die Produktionsentscheidungen der Landwirte haben kann, sodass die Bewertung der Auswirkungen von Wetter und Klima auf die landwirtschaftliche Produktion über reine Ertragseffekte in einem Jahr hinausgehen und transformative Anpassungen des Produktionsangebots und der Inputnachfrage auf Betriebsebene z. B. in Folge von Dürreereignissen berücksichtigt werden müssen. Eine Analyse der Klimaanpassung über eine mögliche Ausweitung der Bewässerung am Beispiel Bayern regionalisiert und differenziert nach Fruchtarten zeigt eine steigende Bewässerungsbedürftigkeit bis zur Mitte des Jahrhunderts. In Bezug auf die Frage nach möglichen Konsequenzen der klimabedingten Veränderungen der Ertragslage in Deutschland für die Flächennutzung konnte gezeigt werden, dass die zunehmenden Flächenansprüche aus unterschiedlichen politischen Strategien, die ohnehin bestehenden Flächennutzungskonkurrenzen noch verstärken. Die Nutzungsansprüche müssen künftig stärker gegeneinander abgewogen, und Synergien und Mehrfachnutzungen von Flächen sollten so weit wie möglich realisiert werden. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine große Herausforderung für die umfängliche Bewertung der Klimafolgen auf die landwirtschaftlichen Erträge und Flächennutzung in Deutschland in der fehlenden Verknüpfbarkeit und Nutzbarkeit raumzeitlich aufgelöster Produktions- und Ertragsdaten, inklusive der offiziellen statistischen Erhebungen, liegt. Für einige Bereiche (z. B. Sonderkulturen, Ökolandbau) erlaubt die Datenlage derzeit keine Langzeitanalysen zu den Folgen des Klimawandels, und die Datenlage sollte zwingend verbessert werden.
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