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Engagement im Spiegel sozialer und räumlicher Ungleichheit : Empirische Analyseergebnisse auf Basis des Deutschen Freiwilligensurveys (2019) und des Sozio-oekonomischen Panels (2001-2019)

Das Thema „Freiwilliges Engagement“ hat in den vergangenen Jahren sowohl politisch als auch gesellschaftlich Konjunktur. Ein Grund dafür ist, dass sich die Politik und einige Forscher:innen vom freiwilligen Engagement der Bevölkerung positive gesellschaftliche Auswirkungen versprechen – sowohl für die soziale Teilhabe der engagierten Menschen selbst als auch für den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt. Dies ist besonders für (periphere) ländliche Räume von Bedeutung, in denen sich häufig nur wenige Gelegenheiten für gesellige Freizeitgestaltung bieten und wo Angebote in Sport und Freizeit, aber auch Mobilität, Rettungs- und Katastrophenschutz ohne die zahlreichen Engagierten vor Ort nicht aufrecht erhalten werden könnten. Daneben waren zahlreiche ländliche Räume in den vergangenen Jahrzehnten von strukturellen Wandlungsprozessen betroffen, die mit einem teils starken Rückbau der Infrastruktur einhergegangen sind. Abwanderungsbewegungen gerade jüngerer und höhergebildeter Menschen infolgedessen ließen und lassen die Zahl der potenziell Engagierten schrumpfen. Neben räumlichen Ungleichheiten deuten erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass es auch soziale Ungleichheiten bezüglich der Teilhabemöglichkeiten an freiwilligem Engagement gibt. Politisch bedeutet dies, dass bestimmte, durch soziodemografische Merkmale oder räumliche Zugehörigkeit definierte Gruppen systematisch besseren Zugang zu freiwilligem Engagement und den damit verknüpften Vorteilen (Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und Mitgestaltung, soziale Netzwerke und Sozialkapital) haben, während diese Vorteile anderen Gruppen nicht in vergleichbarem Maße zur Verfügung stehen. Politisch und gesellschaftlich wünschenswert wäre es, diesen Ungleichheiten entgegenzuwirken und so allen Menschen in Deutschland die gleichen Chancen der Teilhabe und Integration durch Engagement zu ermöglichen. Ein erster notwendiger Schritt hierzu ist eine systematische, grundlegende Beschreibung und Dokumentation des freiwilligen Engagements der verschiedenen Gruppen in ländlichen und nicht-ländlichen Räumen. Hierzu fehlt es bislang weitestgehend an einschlägiger Forschung. Um diese Lücke ein Stück weit zu schließen, hat die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt die Studie SA:FE (Sonderauswertung „Freiwilliges Engagement in unterschiedlichen Raumtypen“) in Auftrag gegeben, die vom Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen durchgeführt wurde und deren wichtigste Ergebnisse in diesem Bericht dargestellt und beschrieben werden. Anhand der Daten des Deutschen Freiwilligensurveys (FWS) 2019 wird ein detailliertes Bild von freiwilligem Engagement in ländlichen und nicht-ländlichen Räumen und dem Einfluss individueller Merkmale auf die Wahrscheinlichkeit, sich freiwillig zu engagieren, gezeichnet. Für eine zeitliche Perspektive werden Ergebnisse anhand von Daten des Sozio-oekonomischen Panels der Jahre 2001 bis 2019 durchgeführter längsschnittlicher Analysen dargestellt. Die Ergebnisse zeigen allgemein, dass freiwilliges Engagement in vielen unterschiedlichen Bereichen stattfindet, am häufigsten in den Bereichen Sport und Bewegung, Kultur und Musik, dem sozialen Bereich, Schule oder Kindergarten, Religion oder Kirche sowie Freizeit und Geselligkeit. Freiwilliges Engagement kann in ganz unterschiedlichen Strukturen organisiert sein, die sich in institutionengebundene und institutionenungebundene Formen des Engagements zusammenfassen lassen. Dabei findet der Großteil freiwilligen Engagements in institutionalisierter Form statt. Während nicht-institutionalisiertes Engagement über alle Gruppen hinweg ähnlich häufig vorkommt, zeigen sich beim institutionalisierten Engagement relevante räumliche und soziodemografische Unterschiede. Im Datensatz des FWS 2019 werden beide Engagementformen abgefragt und von uns analysiert, hier sprechen wir von „freiwilligem Engagement“ in Abgrenzung zu „ehrenamtlichem Engagement“ im SOEP, das nur institutionalisierte Engagementformen einschließt. Mit Blick auf räumliche Ungleichheiten zeigen sich allgemein höhere Anteile freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements in ländlichen Räumen als in nicht-ländlichen Räumen. Dabei spielen sowohl Grad der Ländlichkeit als auch sozioökonomische Lage und Befragungsregion eine Rolle. So ist das freiwillige und ehrenamtliche Engagement besonders hoch in sehr ländlichen Räumen und in Räumen mit guter sozioökonomischer Lage sowie in Westdeutschland. Soziodemografische Ungleichheiten zeigen sich besonders bezüglich der Merkmale Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Religiosität, Haushaltstyp und -einkommen sowie Migrationshintergrund. Der Anteil engagierter junger Leute ist im Vergleich zu den anderen Altersgruppen besonders hoch und steigt über den betrachteten Zeitraum stark an. Der Anteil engagierter älterer Menschen ist im Vergleich zu den anderen Altersgruppen besonders gering, steigt aber auch über den betrachteten Zeitraum an, während der Anteil ehrenamtlichen Engagements in den anderen Altersgruppen über die Zeit stabil bleibt. Ein genauerer Blick auf das Engagement junger Menschen zeigt, dass sich die Heranwachsenden zwischen 14 und 19 Jahren unabhängig davon, wo sie leben, viel engagieren. Das Engagement junger Erwachsener zwischen 22 und 25 Jahren ist über den betrachteten Zeitraum in ländlichen Räumen auf relativ hohem Niveau konstant, während es in nicht-ländlichen Räumen stark abnimmt. Ein relevanter Faktor für das Engagement junger Menschen ist das Engagement der Eltern, besonders in ländlichen Räumen. Die Teilhabe an ehrenamtlichem Engagement ist auch nach Geschlecht ungleich verteilt. Männer sind besonders in den älteren Altersgruppen und in (sehr) ländlichen Räumen mit guter sozioökonomischer Lage zu deutlich höheren Anteilen in institutionalisierten Formen aktiv vertreten. Dagegen engagieren sich Frauen etwas häufiger in nicht-institutionalisierten Formen. Auch engagieren sich Männer und Frauen in unterschiedlichen Bereichen häufiger als Personen des jeweils anderen Geschlechts. In unseren Analysen zeigen sich auch klare Bildungsunterschiede, die sich bereits bei Schüler:innen, die noch ohne Bildungsabschluss sind, nach Schulform beobachten lassen. Hier gehen ein höherer Bildungsabschluss bzw. eine höhere Bildungsaspiration mit höheren Anteilen engagierter Personen einher. Dies ist in allem Bereichen freiwilligen Engagements mit Ausnahme des Bereichs „Unfall- oder Rettungsdienst oder Feuerwehr“ der Fall. Auch Religiosität spielt eine Rolle beim Engagement, mit wesentlich höheren und über die Zeit wachsenden Anteilen ehrenamtlich engagierter Personen unter den Kirchgänger:innen gegenüber den Nicht-Kirchgänger:innen. Soziale Ungleichheit bezüglich der Teilhabe an freiwilligem Engagement zeigt sich auch im Hinblick auf den Migrationshintergrund, insbesondere bei institutionalisiertem Engagement. Menschen mit direkter oder indirekter Migrationserfahrung sind deutlich weniger (institutionalisiert) engagiert als Menschen ohne Migrationserfahrung. Mit Blick auf Haushaltstypen engagieren sich besonders Paarhaushalte mit Kindern zu größeren Anteilen freiwillig als andere Haushaltstypen. Auch ein höheres Haushaltseinkommen geht miteinem stärkeren Engagement einher. In ländlichen Räumen sind besonders die Unterschiede nach Geschlecht, Haushaltseinkommen und Migrationshintergrund größer als in nicht-ländlichen Räumen. Männer, Personen in Haushalten mit höheren Einkommen und Personen ohne Migrationshintergrund scheinen hier leichter Zugang zu Engagement zu finden. Auf Basis der Analyseergebnisse empfehlen wir eine Sensibilisierung für soziale Ungleichheit im Engagement auf allen Akteursebenen, die gezielte Ansprache bislang unterrepräsentierter Personengruppen, die Festlegung von Diversität als formales Organisationsziel, die Bereitstellung niedrigschwelliger Informationsangebote, die praktische und fachliche Unterstützung potenziell Engagierter auf dem Weg ins Engagement einschließlich entsprechender Schulprogramme in allen Schulformen. Weiterhin können kooperative Partnerschaften von lokalen Gremien, Behörden und Freiwilligenorganisationen zur Förderung von sozialer Inklusion soziale Ungleichheit im Engagement abbauen helfen. In sozioökonomisch schwächeren ländlichen Räumen empfehlen wir zusätzlich die Bereitstellung von Infrastruktur, die Sicherstellung der Daseinsvorsorge und Förderung von Digitalisierung.

In recent years, the topic of "voluntary engagement" has gained popularity both politically and socially. One reason for this is that policy-makers and some researchers expect positive social effects from the voluntary engagement of the population. These expectations base both on the social participation of the engaged individuals themselves and for the cohesion of society as a whole. This is particularly important for (peripheral) rural areas, where there are often only a few opportunities for social leisure activities, and where offers in sports and leisure, but also mobility, fire and rescue services rely on the numerous volunteers on site. In addition, many rural areas have experienced structural change processes in recent decades, sometimes accompanied by a strong reduction in infrastructure. As a result, movements of migration, particularly of younger and better-educated people, have caused the number of potentially engaged individuals to shrink. In addition to spatial inequalities, initial research results suggest that there are also social inequalities regarding the possibilities for participation in voluntary engagement. Politically, this means that certain groups defined by sociodemographic characteristics or spatial affiliation systematically have better access to voluntary engagement and the associated benefits (opportunities for social participation and co-determination, social networks and social capital), while these benefits are not available to other groups to the same extent. Politically and socially desirable would be to counteract these inequalities and thus enable all people in Germany to have equal opportunities for participation and integration through volunteering. A first necessary step towards this is a systematic, basic description and documentation of voluntary engagement by different groups in rural and non-rural areas. Relevant research is largely lacking in this regard. To partially fill this gap, the German Foundation for Engagement and Volunteering has commissioned the study SA:FE (special evaluation "Voluntary Engagement in Different Types of Spaces"), which was carried out by the Thünen Institute for Rural Studies and of which the most important results are presented and described in this report. Using data from the German Survey on Volunteering (FWS) 2019, the study draws a detailed picture of voluntary engagement in rural and non-rural areas and the influence of individual characteristics on the likelihood of voluntary engagement. Results from longitudinal analyses using data from the Socio-Economic Panel for the years 2001 to 2019 provide a temporal perspective. Overall, the results show that voluntary engagement takes place in many different areas, most commonly in the areas of sports and fitness, culture and music, the social sector, schools or kindergartens, religion or church, and leisure and socializing. Volunteering can be organized in very different structures, which can be summarized in institutionalized and non-institutionalized forms of volunteering. The majority of voluntary engagement takes place in institutionalized form. While non-institutionalized forms of volunteering occur with similar frequency across all groups, relevant spatial and sociodemographic differences are evident in institutionalized forms of volunteering. In the FWS 2019 dataset, both forms of volunteering are queried and analysed, here we speak of "voluntary engagement" in contrast to "honorary engagement" in the SOEP, which only includes institutionalized forms of volunteering. Rural areas tend to have higher rates of voluntary and honorary engagement than non-rural ones. This depends on the rurality level, the socioeconomic situation and the survey region. Very rural areas with good socioeconomic conditions and those in western Germany show particularly high engagement. Socio-demographic inequalities are particularly evident with respect to age, gender, educational level, religiosity, household type and income, and migration background. The proportion of young people who are engaged is particularly high compared to other age groups and increases significantly over the period considered. The proportion of engaged older people is notably lower compared to other age groups, but also increases over the period considered, while the proportion of voluntary engagement in other age groups remains stable over time. A closer look at the volunteering of young people shows that adolescents between the ages of 14 and 19 engage a lot, regardless of where they live. The voluntary engagement of young adults between the ages of 22 and 25 in rural areas remains relatively high and constant over the period considered, while it declines significantly in non-rural areas. A relevant factor for the volunteering of young people is the engagement of parents, especially in rural areas. Participation in voluntary engagement is also unevenly distributed by gender. Men are particularly active in institutionalized forms, especially in the older age groups and in (very) rural areas with good socio-economic status. In contrast, women are more likely to engage in non-institutionalized forms. Men and women also tend to volunteer in different areas. Our analyses also show clear educational differences, which can already be observed in students who have not yet completed their education, depending on the type of school. A higher level of education or aspiration is associated with higher proportions of engaged individuals. This is true for all areas of voluntary engagement, except for "accident or emergency services or firefighting." Religiosity also plays a role in engagement, with significantly higher and growing proportions of volunteers among churchgoers compared to non-churchgoers. Social inequality in terms of volunteering also manifests with respect to migration background, particularly in institutionalized forms of voluntary engagement. People with direct or indirect migration experience are significantly less engaged (institutionally) than people without migration experience. With respect to household types, households with couples and children engage more voluntarily than other household types. A higher household income is also associated with greater engagement. In rural areas, gender, household income, and migration background differences are particularly pronounced compared to non-rural areas. Men, people in households with higher incomes, and people without migration backgrounds seem to have easier access to engagement here. Based on the analysis results, we recommend raising awareness of social inequality in engagement at all levels of stakeholders, targeting underrepresented groups, setting diversity as a formal organizational goal, providing low-threshold information offerings, providing practical and professional support for potential volunteers on their way to volunteering, including corresponding school programs in all types of schools. Furthermore, cooperative partnerships between local committees, authorities, and volunteer organizations can help reduce social inequality in engagement by promoting social inclusion. In socio-economically weaker rural areas, we also recommend providing infrastructure, ensuring basic services, and promoting digitalization.

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