Quantitative Analyse des Totraums unter mechanischer Beatmung

Die Pathogenese des beatmungsinduzierten Lungenschadens wird in der aktuellen Literatur vornehmlich einer Überdehnung oder dem mechanisch hervorgerufenen Öffnen und Kollabieren der Alveolen zugeschrieben. Die Auswirkungen, die die mechanische Beatmung auf die oberen Atemwege hat, wurden bislang hingegen kaum in Betracht gezogen. In der vorliegenden Arbeit wurde die Hypothese aufgestellt, dass die mechanische Beatmung zu einer Erweiterung der luftleitenden Atemwege führen kann, die wiederum Anteil an der Entstehung des Krankheitsbildes eines beatmungsinduzierten Lungenschadens hat. Zur Durchführung der Versuche wurden adulte C57Bl/6J Mäuse anästhesiert und mit Tidalvolumina von 6, 10 beziehungsweise 15 ml/kg Körpergewicht beatmet. In volumen-computertomographischen (vCT) Studien wurden die zentralen Atemwege der beatmeten Mäuse erfasst, segmentiert und dreidimensional rekonstruiert, um eine quantitative Analyse des Volumens der oberen Atemwege zu ermöglichen. Mittels intravitalmikroskopischer Aufnahmen wurde sowohl die Dehnung der isolierten Trachea im Organbad als auch die der subpleuralen Alveolen in vivo untersucht. Zur Messung des funktionellen Totraums wurde an beatmeten Tieren eine Kapnographie durchgeführt. Die Compliance der oberen Atemwege beziehungsweise des gesamten funktionellen Totraums wurde anhand von entsprechenden Druck-Volumen-Kurven berechnet. An isoliert beatmeten Tracheen wurde die beatmungsinduzierte Ausschüttung von Frühphase-Zytokinen analysiert. Eine Untersuchung von histologischen Schnitten der Lungen nach mechanischer Beatmung ermöglichte die Auswertung des entstandenen Gewebeschadens. Zum Speziesvergleich wurden die mechanischen Eigenschaften muriner Tracheen und von Segmentbronchien vergleichbaren Kalibers des Schweins im Organbad anhand computergestützter Druck-Volumen-Schleifen ermittelt. Die vCT Studien zeigten einen bis zu zweieinhalbfachen Anstieg des Volumens der oberen Atemwege unter mechanischer Beatmung, der sich nach Rückkehr zu Spontanatmung als vollständig reversibel darstellte. Die größte Aufdehnung wurde in den beiden Hauptbronchien beobachtet und war bereits bei einem moderaten Tidalvolumen von 10 ml/kg KG am deutlichsten ausgeprägt. Die Trachea, die distalen Segmentbronchien und auch der funktionelle Totraum hingegen zeigten eine lineare Zunahme des Volumens mit ansteigendem Tidalvolumen. Die Alveolen als letzte Einheit des Bronchialbaums dehnten sich unverhältnismäßig stark bei Erhöhung des Tidalvolumens von 10 ml/kg KG auf 15 ml/kg KG. In isolierten Tracheen konnte nach mechanischer Beatmung eine signifikante Ausschüttung der proinflammatorischen Zytokine TNF-α und IL-1β festgestellt werden. Der Vergleich zwischen Luftröhren der Maus und kleinen Segmentbronchien des Schweins zeigte neben ähnlichen anatomischen Strukturen auch vergleichbare Werte der Volumendehnbarkeit. Die mechanische Beatmung führt bei Mäusen also zu einer schnellen, deutlichen und reversiblen Aufdehnung der oberen Atemwege mit einer damit einhergehenden Erweiterung des funktionellen Totraums. Die oberen Atemwege, die sich am deutlichsten bei einem moderaten Tidalvolumen weiten, zeigen unter dieser Dehnung neben einer Entzündungsreaktion auch histologisch auffällige Schäden an den umliegenden Gefäßen und können damit selbst maßgeblich zur Entstehung des beatmungsinduzierten Lungenschadens beitragen. Auf der anderen Seite übernehmen sie aber auch eine Pufferfunktion, um die empfindlicheren Alveolen vor einer Überdehnung durch überhöhte Atemzugvolumina zu schützen. Diese protektive Eigenschaft geht aber verloren, sobald ein gewisser Volumenschwellenwert überschritten wird. In diesem Fall wird das schädliche Volumen unvermindert an die distalen Atemwege und die Alveolen weitergegeben und führt dort zu dem bekannten Bild des beatmungsinduzierten Lungenschadens mit Gewebeschaden, Entzündungsreaktion, Funktionsverlust der Blut-Luft-Barriere und nachfolgend zu vermindertem Gasaustausch in der Lunge. Erste speziesübergreifende Untersuchungen lassen schlussfolgern, dass die Beobachtungen hinsichtlich der Volumendehnbarkeit der oberen Atemwegen der Maus auf die distalen Atemwege größerer Säugetiere wie dem Schwein und den Menschen übertragen werden können, da hier sowohl ähnliche anatomische Strukturen als auch Dehnungseigenschaften in den jeweiligen Abschnitten des Bronchialbaums gezeigt werden konnten. Sowohl die potentiell protektive Funktion als auch das zusätzlich für eine Schädigung empfängliche Gewebe der oberen Atemwege der Maus beziehungsweise der distalen Atemwege größerer Säugetiere sollte daher in pathophysiologische Konzepte zur Entstehung des beatmungsinduzierten Lungenschadens miteinbezogen werden.

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