Bioverfügbarkeit von Cyanid nach Verzehr von Lebensmitteln mit hohem Gehalt an cyanogenen Glykosiden

Hintergrund: Die Toxizität von Cyanid nach Verzehr von Lebensmitteln, die besonders hohe Gehalte an cyanogenen Glykosiden aufweisen (z. B. bittere Mandeln), ist seit langem bekannt. Es fehlen jedoch Daten zur Bioverfügbarkeit des Cyanid nach Verzehr dieser Lebensmittel, die eine Risikobewertung erlauben würden. Für die akute Toxizität ist der im Organismus erreichte Cyanid-Spitzenspiegel maßgeblich, der bei individuell konstanter Entgiftungskapazität durch die Anflutung bestimmt wird. Im Vergleich zur Ingestion z. B. einer Alkali-Cyanid-Lösung ist die Anflutung von Cyanid nach Verzehr von Lebensmitteln mit cyanogenen Glykosiden jedoch möglicherweise deutlich niedriger, weil das Cyanid – unterschiedlich schnell und unterschiedlich vollständig – zunächst aus der chemischen Bindung im Glykosid freigesetzt werden muss. Studiendesign: Cross-over Studie mit 12 gesunden Erwachsenen, die morgens nüchtern die folgenden Lebensmittel verzehrt haben: - Persipan-Rohmasse (100 und 200 g, äquiv. Gesamt-Cyanid-Gehalt: 68 mg/kg), - Leinsamen (30,9 g, Cyanid: 220 mg/kg, geschrotet direkt vor Verzehr), - bittere Aprikosenkerne (6 Stück, ca. 2,1 g, Cyanid: ca. 3200 mg/kg). Vollblut wurde zu 15 bis 18 Zeitpunkten nach Beginn des Verzehrs entnommen zur Bestimmung der Cyanid-Spiegel mit Hilfe einer GC/MS-Methode mit Verwendung von K13C15N als internem Standard (Dumas et al., J Anal. Toxicol. 2005, 29, 71). Ergebnisse: Die mittleren Cyanid-Spiegel waren am höchsten nach Verzehr von bitteren Aprikosenkernen (14,3 µM, mittlere Tmax 20 min), gefolgt von Leinsamen (5,7 µM, mittlere Tmax 40 min) und 100 g Persipan-Rohmasse (1,3 µM, mittlere Tmax 105 min). Alle diese „Mahlzeiten” enthielten eine äquivalente Cyanid-Menge von ca. 6,8 mg Cyanid. Der Verzehr der doppelten Dosis in Form von 200 g Persipan-Rohmasse führte zu mittleren Cyanid-Spiegeln mit einem Maximum von 2,9 µM (mittlere Tmax 150 min). Es wurde eine hohe interindividuelle Variabilität beobachtet. Kritische Cyanid-Spiegel oberhalb von 20 µM wurden von vier Personen nach Verzehr der bitteren Aprikosenkernen erreicht (Maximum: 22,5 µM). Schlussfolgerungen: Trotz gleicher äquivalenter Cyanid-Dosis nach Verzehr von Lebensmitteln mit cyanogenen Glykosiden kann die Höhe der erreichten Cyanid-Spitzenspiegel und damit die mögliche Toxizität sehr unterschiedlich sein. Maximal kann die Anflutung ähnlich schnell verlaufen wie nach Ingestion einer Alkali-Cyanid-Lösung; bei bitteren Aprikosenkernen ist sie offenbar nicht wesentlich geringer. Im Gegensatz dazu ist die Anflutung bei anderen Lebensmitteln teilweise erheblich geringer, bedingt durch verschiedene Einflussfaktoren (insbesondere Art und Zeitpunkt der Pflanzenstruktur-Zerstörung, Aktivität der Pflanzen-Glukosidase, Verdauungs-geschwindigkeit bestimmt durch Verzehrsmenge und Kaloriengehalt). Eine Behandlung der äquivalenten Cyanid-Dosis in Lebensmitteln als freie Cyanid-Dosis würde teilweise zu einer erheblichen Überschätzung des Risikos führen.

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